Interview: Archäologie im Mittelpunkt

Der Heimatverein (HV) führte kürzlich  in der neuen Außenstelle des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein (ALSH) in Bad Segerberg ein Interview mit

Dr. Ingo Lütjens (stv. Amtsleiter, Außenstellen-Leiter und Gebietsdezernent für den Kreis Plön)

Dominik Forler (Gebietsdezernent für die Kreise Pinneberg, Steinburg, Dithmarschen und Rendsburg-Eckernförde und Stadt Kiel)

Christoph Unglaub (Gebietsdezernent für die Kreise Segeberg, Ostholstein, Herzogtum Lauenburg, Stormarn und Stadt Neumünster)

Außerdem arbeiten in der Außenstelle auch noch die Grabungstechniker Frank Heß und die Grabungsarbeiterin Sonja Strauch sowie temporär angestelltes Grabungspersonal.

HV: Der Heimatverein freut sich, dass das Archäologische Landesamt zum Jahresbeginn in Bad Segeberg den Sitz für seine neue Außenstelle eröffnet hat. Was bedeutet der Umzug von Neumünster nach Bad Segeberg für Ihre zukünftige Arbeit?

Dr. Ingo Lütjens

Dr. Ingo Lütjens: Neben den beengten Räumlichkeiten in unserer bisherigen Außenstelle Neumünster, die nun endlich der Vergangenheit angehören, sind auch die gute Verkehrsanbindung von Bad Segeberg und die Nähe zum Südteil des Landes Schleswig-Holstein in alle von hier zu betreuenden Landesteile für

Dominik Forler: Wir freuen uns, dass jetzt endlich praktisches und theoretisches Arbeiten unter einem Dach möglich sind, zum Beispiel die Fundbearbeitung und das Flotieren und Schlämmen von Makroresten für paläobotanische Untersuchungen waren bislang ausgelagert. Nun können wir alles in einem Gebäude bearbeiten, das erleichtert vieles!

Christoph Unglaub: Für mich ist neben der besseren Verkehrsanbindung an die von mir zu betreuenden Landesteile auch die Möglichkeit, nun kleinere Veranstaltungen in unseren Räumlichkeiten anbieten zu können sehr wichtig. Das war in unserer bisherigen Außenstelle in Neumünster gar nicht möglich.

Außenstelle Bad Segeberg Jasminstraße 4, 23795 Bad Segeberg

HV: In Bad Segeberg und den Städten und Gemeinden des Kreises bewegen wir uns auf sehr geschichtsträchtigem Boden. Was sind die bedeutenden archäologischen Funde der letzten Jahre?

Dr. Ingo Lütjens: Von hoher wissenschaftlicher Bedeutung sind in den letzten Jahren natürlich die Grabungen im Vorfeld des geplanten Ausbaus der A20 gewesen. Dabei wurden unter anderem ein Grabhügel der ausgehenden Jungsteinzeit in der Gemeinde Weddelbrook sowie mehrere älterbronzezeitliche Grabhügel in den Gemeinden Bark, Todesfelde und Wittenborn, diverse Siedlungsplätze der Metallzeiten und jungbronze- und eisenzeitliche Gräberfelder (u. a. das Grab mit der bemalten Urne aus Todesfelde), das große kaiserzeitliche Gräberfeld in Bad Segeberg sowie ein jungsteinzeitliches Erdwerk untersucht. Sicherlich vielen bekannt ist auch das bronzezeitliche Gräberfeld „Mang de Bargen“ bei Bornhöved, das erst vom ALSH erforscht wurde, dann in einem Projekt von der Universität Kiel fortgeführt und schließlich in einer Abschlussarbeit aufgearbeitet und publiziert wurde bzw. noch wird.

Christoph Unglaub: auch der große Fundplatz von Wittenborn, bei der mein Kollege Dr. Lütjens der Grabungsleiter in den Jahren 2008-2011 war, ist nicht nur für den Kreis Segeberg bedeutsam, denn sie gilt bis heute als erste komplett ausgegrabene Siedlung der Völkerwanderungszeit in Schleswig-Holstein. Die Fortschritte welche die Siedlungsarchäologie in den letzten Jahren machen konnte, sind unter anderem durch diese Grabung enorm. Ein weiteres für uns und die Landesgeschichte bedeutendes Projekt waren die Untersuchungen, die vor dem geplanten Bau der Hinterlandanbindung der Fehmarnbeltquerung der Deutschen Bahn durchgeführt wurden, dabei wurden von 2017 bis 2019 viele von der Bahnstrecke überplante Flächen prospektiert, dutzende Verdachtsstellen voruntersucht und Fundstellen ausgegraben. Eine Publikation in den „Archäologischen Nachrichten aus Schleswig-Holstein 2021“ ist derzeit kurz vor der Fertigstellung.

HV: Welche Vorhaben bestehen/planen Sie im Kreisgebiet?

Christoph Unglaub: Derzeit sind im Kreise Segeberg keine größeren Maßnahmen geplant, da aber der Bauboom ungebrochen fortschreitet, kann sich das im Rahmen der Verursacherarchäologie schnell ändern.

HV: Die interessantesten Funde sind wahrscheinlich diejenigen, mit denen ein neuer oder besonderer Erkenntnisgewinn einhergeht. Können Sie hierzu ein Beispiel nennen?

Dominik Forler

Dominik Forler: Aktuell sind das vor allem Grabungen aus dem nördlich benachbarten Kreis Rendsburg-Eckernförde. In Flintbek wurden über die letzten Jahre im Rahmen der Ausweisung von großflächigen Baugebieten weitere großartige Befunde aufgedeckt. Außer zahlreichen überraschend gut erhaltenen und vor allem vollständigen Hausgrundrissen der römischen Kaiserzeit und der Völkerwanderungszeit wurden großräumig mit Steinsetzungen versehene Flächen ausgegraben, deren Deutung derzeit noch schwierig ist, wahrscheinlich handelt es sich um eine Art Zisternen, die einen hohen Wasserbedarf der Siedler z.B. im Rahmen von handwerklichen Tätigkeiten oder Viehhaltung gut dokumentieren.

„Kultuerelle Einflüsse aus dem Süden im Gräberfeld in Todesfelde

Christoph Unglaub: An Funden sind z.B. Artefakte aus einem Gräberfeld in Todesfelde zu nennen, dort haben wir z.B. bemalte Urnen aus Keramik geborgen. Diese Erscheinung bzw. Zierweise, die nur für kurze Zeit zu Beginn der Vorrömischen Eisenzeit auftritt, ist ein Zeugnis für kulturelle Einflüsse aus dem Süden. Im Fokus einer der von uns betreuten Gruppen von Bürgerforschern und zertifizierten Sondengängern liegt derzeit ein Gebiet südlich von Bad Segeberg, es sind schon zahlreiche interessante neue Funde aufgetaucht, die das bisher bekannte Fundbild verdichten.

Christoph Unglaub

HV: Um die spätere Stadt Segeberg herum bestanden mehrere slawische Siedlungskammern. Können Sie zum archäologischen Forschungsstand hierzu Aussagen treffen?

Christoph Unglaub: Derzeit laufen meines Wissens nach zu slawischen Besiedelung keine neuen Studien, der letzte Stand ist hier z.B. in der Untersuchung zu slawenzeitlichen Funden im Kreis Herzogtum Lauenburg von Arne Schmid-Hecklau dokumentiert. Auch zu nennen ist die Dissertation von Torsten Lemm, die sich mit den frühmittelalterlichen Ringwällen im westlichen und mittleren Holstein beschäftigt. Leider bleibt uns im Tagesgeschäft neben der Betreuung der regen Bautätigkeit und der praktischen Denkmalpflege (z.B. Notbergungen, Denkmalmonitoring, Arbeit mit Ehrenamtlichen) kaum Zeit zu eigenen Forschungen.

HV: Eine Reihe älterer Ortschroniken wurden in Bezug auf die Vor- und Frühgeschichte auf einem Kenntnisstand verfasst, der nicht mehr zeitgemäß erscheint. Welches sind die häufigsten nicht mehr haltbaren Einschätzungen archäologischer Funde und ihres Kontextes?

Dr. Ingo Lütjens: Für uns hat sich durch die Einführung der Verursacher-Archäologie (d. h. der Bauherr trägt die Kosten für die Untersuchung der bei den Bauarbeiten zerstörten Denkmale) viel geändert, früher stand viel mehr der einzelne Fundplatz im Fokus, z.B. ein Steinbeil, das an der Oberfläche gefunden wurde. Heute sind es durch die systematische Begleitung von Baumaßnahmen, die teils riesige Flächen in Anspruch nehmen, viele neue Erkenntnisse, die sich aus den Flächengrabungen ergeben. Zwangsläufig ergibt sich dort ein anderes flächiges Bild im Gegensatz zu den punktuellen Erkenntnissen von damals. Zuweilen offenbart sich ein ganz neues Muster: Epochen, die durch Oberflächenfunde oder durch oberflächig erhaltene Strukturen (z. B. Grabhügel) nicht bzw. kaum belegt sind, zeigen eine deutlich größere Verbreitung als zuvor angenommen. Das betrifft v. a. die Siedlungen der jüngeren Römischen Kaiser- und der Völkerwanderungszeit. Es zeigt sich immer wieder, dass archäologische Fundplätze fast überall auftreten können, unabhängig davon, was dort zuvor bekannt bzw. vermutet wurde.

HV: Das Sammeln von Gegenständen als ein Urtrieb der Menschen erstreckt sich auch auf das Suchen nach archäologischen Artefakten. Privaten Sammlern sind oft die Verantwortung und Grenzen ihres Handelns nicht deutlich. Welche Regeln bestehen und welchen Sinn machen sie?

Christoph Unglaub: Eine der Kernaufgaben des Archäologischen Landesamtes ist der Schutz der Denkmale, damit sind auch sog. bewegliche Denkmale gemeint (z.B. Keramikscherben, Metall- und Knochenfragmente oder Steinartefakte). Im Denkmalschutzgesetz (DschG S-H) ist auch geregelt, dass diese beweglichen Denkmale nach Ihrer Auffindung gemeldet werden müssen. Wichtig ist, dass im Denkmalschutzgesetz nicht nur Bodeneingriffe allgemein (z.B. Bauarbeiten), sondern auch explizit die Anwendung archäologischer Methoden (z.B. Anlage von Suchschnitten oder die Anwendung von Metallsuchgeräten) genehmigungspflichtig durch die Denkmalbehörden ist.

„Denkmale die im Boden sind, besser schützen“

HV: Welche Bitte richten Sie an Finder?

Christoph Unglaub: Das wichtigste sind für uns die Fundmeldungen, da darauf unter anderem die Landesaufnahme aufbaut, die ein wichtiges Werkzeug für die planungsorientierte Denkmalpflege ist, d.h. z.B. werden bei uns Anfragen von Bauträgern u.a. im Rahmen der Bauleitplanung bearbeitet, die bei uns Flächen abfragen, die sie in Anspruch nehmen wollen. Wenn uns dann von diesen Flächen Funde bekannt sind, können wir die Denkmale, die dort im Boden verborgen sein können, besser schützen und im Zweifel vor der Zerstörung dokumentieren. Darüber hinaus bildet die archäologische Landesaufnahme die Grundlage für alle siedlungsarchäologischen Forschungen. Je vollständiger die Landesaufnahme ist desto besser ist die Forschungsgrundlage und desto zuverlässiger ist der darauf aufbauende Erkenntnisgewinn für uns alle.

HV: Möchten Sie eine Frage beantworten, die hier nicht gestellt wurde?

Dr. Ingo Lütjens: Wir möchten gern darauf hinweisen, dass die Vorstellung unserer neuen Außenstelle für die Öffentlichkeit bei einem Tag der offenen Tür erfolgen soll, der aktuell für den 03.06.2022 geplant ist! Sie sind herzlich eingeladen dann vorbeizuschauen, nähere Informationen folgen.

Informationen zum ALSH: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/ALSH/alsh_node.html

Das Interview führte Andreas Fischer-Happel